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Herzlichen Dank für Ihren Brief und Ihre Sorge um uns. Jeder Machtwechsel ist schlecht, noch schlechter ist es, wenn das Volk für die Regierung da ist und nicht die Regierung für das Volk. Bei uns sorgt sich die Regierung leider mehr um ihre eigenen Belange, darum ist das Volk aufgestanden. Die in Kiew praktisch schon seit 4 Monaten Protestierenden aus  allen Regionen der Ukraine haben gekämpft und inzwischen den Machtwechsel erreicht. Wie Sie aus den Massenmedien wissen, gibt es mehr als hundert Tote und Tausende Verletzte. Die Proteste in Kiew werden fortgesetzt, aber sie tragen keinen aggressiven Charakter, nur friedliche Demonstranten sind anwesend, die der jetzigen Regierung diktieren, wie sie arbeiten soll, mit wem Freundschaft halten, mit wem zu streiten ist. In den Regionen der Ukraine sieht es unterschiedlich aus. Im Westen herrscht der Widerstand gegen die Macht und den ehemaligen Präsidenten vor. In der Mitte der Ukraine ist die Machtergreifung friedlicher, sie haben die Vertreter der Partei der Regionen aus der Regierung geworfen und ihre Ratsvertreter gewählt. In den östlichen und südlichen Gebieten gibt es mehr Anhänger des ehemaligen Präsidenten Janukovich, aber auch sie wurden durch die Protestierenden zum Machtwechsel bewegt. Auf der Krim gibt es eine Konfrontation zwischen Ukrainern und Tataren auf der einen Seite und den russisch sprechenden Vertretern auf der anderen. Solange der politische Prozess läuft, ist das eine politische Frage. Ökonomisch gesehen – gestern wurde erklärt, dass die Kassen der Ukraine praktisch leer sind. Es gibt nicht einmal Geld, um den sozial Schwächsten, unseren älteren Bürgern und Menschen mit Behinderungen die Rente zu zahlen.

Wir haben unsere Zuteilung schon bekommen, weniger als im vorigen Jahr. Und unsere Währungskurse haben sich verschlechtert und werden weiter fallen. Preise für Brot, Graupen, Fett, Benzin usw. sind merklich gestiegen. Ohne Kredite könnte der totale Zusammenbruch bevorstehen.

Dennoch geben mein Team und ich nicht auf, wir begradigen unsere Verteidigungslinie und hoffen, das zu überstehen. Noch einmal danke für den Brief.

Hochachtungsvoll

(Chefarzt)
28.02.2014

Wir sind sehr dankbar, dass Sie an uns denken und für uns beten.
Ja, die Ukraine, dieses schöne, reiche, intellektuelle, eigentlich europäische Land, wurde von einer schweren Zeit überrollt – des Streites unter Brüdern, des Kampfes mit der Tyrannei, der Täuschung des Volkes, der ökonomischen Stagnation, der psychologischen Erschütterung der meisten Ukrainer.

Sie haben in Ihren Massenmedien nur einen kleinen Teil des Alptraums gesehen, den sie uns hier auf allen Kanälen pausenlos und rund um die Uhr zeigen.

Das sind brennende Autoreifen im Zentrum von Kiew, Barrikaden, wo die einen jungen Ukrainer die anderen jungen Ukrainer zu Krüppeln schlugen und töteten. Es sind Jungs umgekommen, die versuchten, mit ihren leichten Schilden sich vor den Kugeln der professionellen Scharfschützen zu schützen. Es gibt keine Vergebung für die Szenaristen dieses Scharmützels.

Tatsächlich haben sich Hunderttausende Menschen im Zentrum von Kiew versammelt. Sie halfen den Demonstranten mit allem Notwendigen: mit Lebensmitteln, Medikamenten, mit Geld. Auf dem Maidan gab es ein richtiges Feldlazarett.

Das ganze Land klebte an den Fernsehern. Niemand konnte sich vorstellen, das so etwas in der Ukraine geschehen könnte.

Aber es geschah. Und zusätzlich beginnen jetzt Versuche der Militärinvasion aus Russland. Das ist eine hinterhältige und in unserer Zeit einfach unsinnige Aktion, unfassbar auf dem europäischen Kontinent. Es wird der Versuch unternommen, die Ukraine in drei Teile zu teilen, wie man es schon in Jugoslawien und in anderen Ländern tat.

Auch in Charkow gibt es Zusammenstöße, es gibt schon Verletzte und Tote, aber im Großen und Ganzen ist die Situation in unserer Stadt relativ stabil.

Wir können nicht sagen, wie die Entwicklung der Situation in der Ukraine weitergeht. Es gibt viele Möglichkeiten bis hin zu den am wenigsten vorhersagbaren Varianten. Irgendjemand hetzt die slawischen Völker wegen seiner finanziellen Interessen aufeinander.

Aber wir leben mit der Hoffnung, dass das Blutvergießen ein Ende findet, dass ein Machtsystem aufgestellt wird, das sein Land, sein Volk achtet. Das die, die jetzt die neue Ukraine bilden, weise genug dazu sind. Dass die jetzigen Ereignisse das Volk der Ukraine einigen und stärken, unabhängig davon, wo wer lebt – im Osten, Westen oder Süden des Landes. Dass die Aggression verschwindet, die Gemeinheit der Provokationen, dass Radikale und Banditen befriedet werden, das Betrüger und Abenteurer nicht die Gunst der Stunde gegen die Interessen des Volkes nutzen.

Sie fragen, was Sie den Leuten antworten sollen, die fragen, wie es hier geht? Leider ist das sehr unklar. Aber die überwältigende Zahl der Leute will, dass die Ukraine eins bleibt. Und viele sind in dieser Zeit zu größeren Patrioten geworden, als sie es früher waren. Ich denke, was jetzt hier vor sich geht, bringt die Ukraine Europa mit seinen Kulturwerten näher.

Es ist jetzt eine Zeit der Zunahme der Aggressionen in der Welt. Aber es ist eins, wenn man das aus tausend Kilometer Entfernung im Fernsehen sieht, und etwas ganz anderes, wenn es in der Straße nebenan im eigenen Land passiert. Es ist eine große menschliche Katastrophe, für viele ein großes psychologisches Trauma.

Wir können jetzt einfach nicht verstehen, wie das alles für die Ukraine enden wird. Wer spielt die ukrainischen Karte? Wird er verlieren – oder die Ukraine und Europa? Wir leben in ständiger Anspannung – und natürlich in der Hoffnung auf Besseres.

Wir schätzen Ihren Wunsch, den Menschen in der Ukraine zu helfen, sehr hoch. Aber ich denke, es ist jetzt so schwierig, dass das praktisch unmöglich ist. * Wie man uns erzählt hat, konnte eine humanitäre Hilfe, die zu der Zeit des Konfliktes und Blutvergießens in Kiew aus Polen kam, nur mit sehr großen Schwierigkeiten die bürokratischen und andere Hürden überwinden. Wir haben nicht einmal erfahren, ob sie tatsächlich zu den Demonstranten durchgedrungen ist?! Ja, Ihnen ist das ja gut bekannt. Wenn sich das ändert, werde ich es Ihnen gern mitteilen.

Kriege und Umstürze haben immer die einfachen Leute ärmer und schutzloser gemacht.

Immer denke ich mit großer menschlichen Wärme an Sie. Mögen solche Ereignisse Sie niemals treffen. In uns haben Sie immer Freunde in der Ukraine, die Sie achten und lieben.

(Chefarzt)

*Anmerkung der Übersetzerin und Vereinsvorsitzenden:
Auf den Maidan etwas zu schicken, ist sicher sehr schwierig. Es ist aber möglich, an unsere Partner Hilfsgüter zu schicken. Die Hilfsgüter werden nicht sofort in Gebrauch genommen werden können - aber nach der Entzollung kommt es Menschen zugute, die diese Hilfe jetzt dringender denn je brauchen.
Drei Transporte haben wir in diesem Jahr bereits geschickt, der nächste wird gerade vorbereitet.